Hinweise für Ausstellungsbesucher

Vielen Menschen fällt es schwer, ihre Eindrücke und Meinungen über moderne Kunst zu artikulieren. Im folgenden Text finden Sie wertvolle Hinweise, wie Sie sich – zum Beispiel auf einer Vernissage – angemessen über Kunst unterhalten können.

Sehr schön!
Passt immer. Aber nicht zu oft sagen, denn wer jeden Wein lecker findet, gilt bald als Schnapsdrossel.

Mal was anderes!
Ambivalentes, diplomatisches Werturteil. Kann gedämpfte Zustimmung bedeuten, aber auch totale Ablehnung.

Das hat was!
Etwas schwierig, weil man Gefahr läuft, auf Nachfrage dieses „Was“ konkret benennen zu müssen. Wer dann ins Stammeln kommt, hat verloren. Geht also nur, wenn man sich nach „Das hat was!“ gleich vom Bild abwendet oder ein anderes Thema anschneidet. Gilt analog für „Das sagt mir was!“

Das erinnert mich irgendwie total an … Ich komme nicht drauf, wie hieß er noch?
Misslungener Versuch. Wenn die Gedächtnislücken zu groß werden, dann lieber nichts sagen. Ansonsten erinnert Kunst immer an irgendetwas, denn jeder Künstler wird durch andere Künstler, Richtungen oder Stile beeinflusst.

Eine stimmige Arbeit!
Ein zwiespältiger Kommentar. Entweder spricht der Kenner, der ein Gefühl für Komposition, Struktur und Harmonie hat. Wahrscheinlicher ist, dass ein Blubberkönig eine Blendrakete abfeuert. Also nur verwenden, wenn man auf Nachfrage auch etwas erklären kann.

Das Werk ist sehr emotional / subtil / bewegend / spannend / intensiv / dicht / ambitioniert / visionär / ergreifend / komplex / mutig / subversiv …
Sammlung positiv gestimmter Adjektive, die Sie beliebig kombinieren können, indem man einige substantiviert. Dann sind schöne Phrasen möglich wie: „Ergreifend emotionale Komplexität“ oder „Mutig zu Ende gedachte subtile Vision“. Hört sich gut an, oder?

Super Location. Schöne Atmosphäre!
Und superschön um den heißen Brei herumgeredet. Kann man sagen, wenn man zur Kunst überhaupt keine Idee hat oder wenn die Werke so schlecht sind, dass man aus Höflichkeit lieber schweigen möchte.

Was will uns der Künstler damit sagen?
Peinlich. Nur noch ironisch und mit viel Promille verwendbar.

Das ist doch keine Kunst!
Lieber nicht verwenden. An der Frage, was Kunst ist, haben sich schon Generationen von Fachleuten und Philosophen abgearbeitet.

Das hätt´ ich auch gekonnt.
Oft auch: Das hätte meine kleine Tochter auch gekonnt. Hier geht es offensichtlich um Kritik an der simplen Idee oder der mangelhaften technischen Ausführung eines Kunstwerks. Was bekanntlich nur ein Aspekt eines Kunstwerks ist. Die Antwort lautet in jedem Fall: „Hättest du nicht!“

Das ist einfach lächerlich!
Tödliches Urteil, am besten halblaut herauszischen. Hier spielen Sie den Snob, der über den Dingen steht. Bitte nur mit gequältem, verächtlichem Gesichtsausdruck.

Schweinkram! Sauerei!
Dieses unmissverständliche Urteil am besten während der Vernissage laut herausschreien. Mit Einladungskarten herumwerfen, die Grenze zur körperlichen Nötigung aber nicht überschreiten, falls die Polizei schon auf dem Weg ist.

Schatz, das würde doch gut über die Durchreiche zum Esszimmer passen!
Nicht so laut. Sie wecken sonst bei erfolglosen Künstlern Hoffungen oder riskieren, den ganzen Abend vom Galeristen belästigt zu werden. Niemals auf der Ausstellungseröffnung schon Kaufabsichten äußern!

Sie sind Künstler? Kann man davon leben?
Bisweilen gut gemeinte, onkelhafte Frage von Banausen. Oder purer Sadismus? Jeder weiß, dass die meisten Künstler nicht davon leben können. Im übrigen eine unverschämt intime Frage: Man würde beim flüchtigen Small Talk andere Selbstständige ja auch nicht nach ihren Bilanzen oder der aktuellen Konkursgefahr fragen.
Die Frechheit kann man noch steigern: „Sie sind Künstler – und wovon leben Sie? Auf der anderen Seite sollten Sie nicht davon ausgehen, dass alle Künstler verarmt sind und auf „Spenden“ angewiesen.

aus:
Das kann ich auch!
Gebrauchsanweisung für moderne Kunst
Christian Saehrendt und Steen A. Kittl
Dumont